Reisegeschichten

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Paradies unter Beton?

Mein Aufenthalt auf der vietnamesischen Insel Phú Quốc

Wer mich kennt, weiß wie gern ich naturnah unterwegs bin und dass ich es liebe, Orte in ihrer Ursprünglichkeit zu erleben. Dazu gehört es für mich auch, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen und an Häusern, über Plätze und durch Straßen hindurch zu schlendern, wie sie einst von den Menschen, die dort leben, geschaffen worden sind.

Aufgrund mehrerer Faktoren und „ein bisschen Fügung“ landete ich kürzlich auf der vietnamesischen Insel Phú Quốc. Da ich ein festes Basislager mit Schreibtisch und stabilem WLAN brauchte und Lust auf Meerblick hatte (Nur zu Business-Zwecken, um die Kreativität zu steigern. ?), kam mir die Insel wie gerufen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis für meine anvisierte Unterkunft war unschlagbar, die Meinungen über die Insel im Internet und von Freunden, die vor einigen Jahren dort waren, bestärkten mich in meiner Wahl.

 

Phú Quốc befindet sich nur etwa 12 Kilometer vom kambodschanischen Festland entfernt im Golf von Thailand und ist die größte Insel des Landes Vietnam, von dessen Südwestküste sie etwa 40 Kilometer entfernt liegt. Meine Unterkunft befand sich im Süden des Eilandes.

Nach einigen Wochen in An Thoi muss ich leider festhalten, dass mich der Bauboom und der Raubbau, der im Meer stattfindet, sehr nachdenklich gemacht haben. Manchmal wusste ich gar nicht, was mich mehr schockiert hat: der Bauboom an Land oder der Fischfang im Meer …

An jeder Ecke entstehen neue Hotels und Restaurants, so rasant, dass sie vielerorts nicht mehr hinterherzukommen scheinen. An vielen Stellen bin ich durch Geisterstraßenzüge gewandelt: nigelnagelneue Gebäude im vorwiegend „europäischen Look“ (bspw. italienisch) stehen entweder (noch?) leer oder gammeln bereits vor sich hin, weil womöglich die Investoren fehlten.

Mein abendlicher Blick vom Balkon in der 9. Etage aufs Wasser traf auf ein Lichtermeer: Unzählige Boote – größer und kleiner – sorgten mit ihren grellen Scheinwerfern dafür, einander nicht gegenseitig über den Haufen zu fahren. Unter ihnen waren auch Partyboote und ganz bestimmt auch Urlauberinnen und Urlauber, die zum Segeln hergekommen waren, aber ein Großteil schienen die Fischerinnen und Fischer auszumachen. Für mich hat das nichts mehr damit zu tun, dass der ortsansässige Angler hier rausschippert, um seine Familie zu ernähren. Der Fang landet unter anderem in den viel zu engen Aquarien vor den diversen „Seafood-Restaurants“, in denen sich die Touristinnen und Touristen satt essen.

Mein persönlicher Verzicht darauf, Tiere zu essen, hat verschiedene Gründe. Einer davon wollte mir während meiner Zeit auf Phú Quốc allerdings am allerwenigsten aus den Gedanken verschwinden: der Film SEASPIRACY (https://www.seaspiracy.org/), den man auf NETFLIX streamen kann. https://www2.stage.netflix.com/sg/title/81014008 Trotz Beachtung aller kulturellen, wirtschaftlichen und „“Weil-es-die-einzige-Nahrungsquelle-Gründen-ist“ gehört diese Doku für mich zu den „Must-sees“.

 

Die Vermarkterinnen und Vermarkter setzen auf den angeblich größten Freizeitpark Vietnams, „VinWonders Phu Quoc“, werben mit der wohl „längsten Ozean-Seilbahn der Welt“ und preisen das tägliche Feuerwerk. Ja richtig gehört: es knallt und leuchtet in An Thoi an 365 Tagen im Jahr.

Ziel der Seilbahn ist übrigens ein weiterer Freizeitpark auf der Insel „Hòn Thơm“.

Der asiatische Markt zeigt sich vielleicht dankbar dafür, Europa erleben zu dürfen, ohne die lange und teure Reise dorthin antreten zu müssen. So findet sich in An Thoi auch ein Nachbau des Kolosseums … Wenn ich mal ausblende, wo ich bin und meine persönlichen Präferenzen auf Eis lege, muss ich sagen, „dass die das hier durchaus sehr hübsch gemacht haben“. Aber für mich als vielgereiste Europäerin ist Vietnam, wenn ich schon mal dort bin, nun mal interessanter als Italien …

 

Luxussorgen beiseite: Ich habe mich oft gefragt, was überwiegt: Die Chance auf die Traumreise und die zusätzliche Einnahmequelle für die Inselbewohnerinnen und -bewohner, die der Tourismus der Insel beschert, oder die Wehmut der Locals über den Verlust der Ursprünglichkeit. Ich vermag es nicht zu sagen, kann nur festhalten, dass die Einheimischen mir gegenüber immer sehr freundlich und fröhlich aufgetreten sind. Und: Das zu diesem Zeitpunkt einjährige Bestehen des VUI-Fest Bazaars in An Thoi wurde von den Standbetreiber:innen tagelang mit „Happy Birthday-Wimpeln“ zelebriert. Ein Zeichen der Freude? Ein europäischer Expat hat mir jedenfalls berichtet, dass sich die Locals über die wirtschaftliche Entwicklung freuen. Er wusste aber auch, dass diejenigen, deren Hütten dem Erdboden gleichgemacht wurden, zwar entschädigt, jedoch keineswegs angemessen bezahlt worden seien und dass viele Einheimische die Insel früher schöner fanden.

Um eine Ahnung davon zu bekommen, wie es hier mal aussah, hatte ich mir für einige Tage einen kleinen Strandbungalow an der Ostküste angemietet. Hier ist die Insel noch weitestgehend in ihrer Ursprünglichkeit zu erleben. Unterkünfte für Touristen gibt es zwar auch, aber eben keine großflächige Einbetonierung, die meiner Meinung nach den Charme rauben würde …

 

So sitze ich schließlich mit einem leckeren vietnamesischen Kaffee am Strand und wünsche der Insel das Beste. Was das ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Dankbar für mein privilegiertes Leben, aus dessen Blickwinkel dieser Text entstanden ist, stopfe ich den Laptop in die Tasche und ziehe weiter …