Ein bisschen wehmütig schaue ich an meinen Beinen hinab und muss feststellen, dass die gesunde Bräune langsam schwindet und die wohltrainierte Muskulatur zu schrumpfen beginnt. Vor zwei Wochen bin ich aus meinem finnischen Traum heimgekehrt und blicke mit Stolz zurück: 1.627 Kilometer legte ich auf meinem treuen Drahtesel zurück, bis ich Helsinki erreicht habe. Insgesamt war ich fünf Wochen lang unterwegs, davon thronte mein Hintern knapp vier Wochen auf dem bequemen Ledersattel meines Fahrrades.
Anreise und Streckenverlauf
Meine radelnde Begleiterin und ich haben Ende Juli die lange Anreise von Travemünde bis Helsinki (29 Stunden Fährfahrt), weiter per Nachtzug von Helsinki nach Kolari in Lappland, rund einhundert Kilometer nördlich des Polarkreises, auf uns genommen und uns dann auf die Sättel geschwungen. Wir fuhren via Sodankylä, Rovaniemi, Kemi, Oulu, Kuopio, Jyväskylä bis in den Süden des Landes.
Pro Finnland, pro Fahrrad
Warum? Warum Finnland, warum mit dem Fahrrad? Für Finnland spricht vieles: Es gilt das Jedermannsrecht, was uns wildes Campen, Feuermachen und Beerenpflücken ermöglicht hat. Im Sommer ist es lange hell beziehungsweise wird teilweise überhaupt nicht dunkel. Das Land gilt als sicheres Reiseland, ein Großteil der Bevölkerung spricht Englisch, die Natur ist ein Juwel, die Menschen sind freundlich. Wobei ich zugeben muss, dass Letzteres bisher auf jedes Land zutraf, das ich besucht habe. Warum nun per Fahrrad? Finnlands höchste Erhebung ist der Haltitunturi, mit einer Höhe von 1.324 Metern, und somit nicht gerade ein Riese unter den Bergen dieser Welt. Insgesamt ist das Höhenprofil des Landes moderat, sodass es uns problemlos möglich war rund 80 Kilometer pro Tag zurückzulegen. Und da die Finnen wahre Künstler im Zubereiten von Kaffeegebäck sind, war es uns eine besondere Freude alles von Blaubeertörtchen über „Ohrfeigen“ bis hin zu ausgefallenen Puddingteilchen zu probieren – ohne Gefahr zu laufen, an den Problemzonen zuzulegen. Jeder Tritt in die Pedale eine verheizte Kalorie mehr … Aber dies nur am Rande.
Viel Wildnis, wenig Dusche
Viel nennenswerter ist meine Freude über das simple Leben im Einklang mit Natur, Zelt, Campingkocher und Mückenschwärmen. Um es vorweg zu nehmen: Wir hatten Glück. Die aktivste Zeit der kleinen, surrenden Plagegeister war vorbei und mit Mückenspray ließ sich ihre Anwesenheit halbwegs ertragen. Bis auf wenige Ausnahmen waren wir 24 Stunden an der frischen Luft, wuschen uns in Flüssen und Seen, kochten uns Kaffee und Instant-Nudeln am Zelt. Supermärkte passierten wir täglich, was für eine entspannte Versorgungssituation sorgte. Eine Finnin mutmaßte: „Manchmal meine ich, es gibt in unserem Land mehr Supermärkte als Menschen.“ Und was noch gibt es in Finnland überall? Eine Sauna! Wann immer wir uns in der Zivilisation aufhielten, schwitzten wir in selbiger. Das ist gut für die beanspruchten Muskeln, hilft angeblich gegen den Juckreiz von Mückenstichen und reinigt den verschwitzen Sportlerkörper.
Pannen und Verluste
… einen Plattfuß hatte keine von uns – ein Hoch auf die unkaputtbaren Reifen von Schwalbe! Lediglich der Gepäckträger von Cornelias Fahrrad hat bereits am 4. Tag versucht zu entkommen und "meine" Bremsbacken mussten erneuert werden. Peanuts, wenn wir bedenken, was unsere zweirädrigen Freunde leisten mussten!
Das Thema „Verluste“ verdient ein eigenes Kapitel … ;-)
Rentiere, Meet & greet mit dem Weihnachtsmann, Teerschnaps, rasende Senioren und ein Brotmesser für alle
Die Finnen gelten als kurioses Volk, sind bekannt für See, Sauna, Weihnachtsmann und Rentier. Während unserer Zeit im Land, haben wir unzählige der pelzigen Schlittentiere gesehen, den ECHTEN Weihnachtsmann interviewt, finnische Spezialitäten gekostet und sorgsam beobachtet, welche Erfindungen und Gewohnheiten von der Bevölkerung gepflegt werden. Neben dem berühmten Abtropfschrank, ist uns besonders der Rollator aufgefallen. Im Gegensatz zum deutschen Pendant, begnügen sich die älteren Finninnen und Finnen nicht dem Schieben, nein, sie können sich auch darauf stellen und damit rollen. Wem es zu langsam wird, der kann, ähnlich wie beim Skateboard, mit einem Bein anschieben. Cool!
Was Euch erwartet
Wie wir das Leben im Wald bewältigt haben, was sich gegen Körpergeruch tun lässt, warum wir zum Flusskrebsefangen aufs Boot eines pensionierten Uni-Profs gestiegen sind, wie wir in die Privatsauna eines zurückhaltenden Mathe- und Physiklehrers gelangt sind und weshalb Cornelia in Asien bald ein berühmter Foto-Star sein wird, das und noch viel mehr über uns und die Finnen sollt ihr in meinem neuen Buch erfahren. Über den Winter setze ich mich an den Schreibtisch und hämmere in die Tasten, was das Zeug hält, damit wir den Text im Herbst 2017 an die Luft lassen können. Ich freue mich darauf, damit dann auf eine neue Lese-Tour zu gehen und meine Erlebnisse mit Euch zu teilen – ebenso wie mein umfangreiches Foto- und Videomaterial.
Nachtrag Wetter
Und das Wetter, der ewige Regen, den man dem Land nachsagt? Finnland ist kein Wüstenland, klar, aber so verregnet, wie manch einer glauben mag, ist es nun auch nicht. Wir hatten – wie so oft! – Glück und die Einheimischen selbst haben den guten Sommer gelobt. In der gesamten Zeit hatten wir etwa 6-7 Regentage zu ertragen. Da sich diese jedoch verteilten, konnten wir unsere sonnige Stimmung halten und das Equipment stets wieder trocknen.
Streckenhinweis
Wir haben uns am Verlauf des Eurovelo 11 orientiert: Link zur Bikemap. Die Strecke ist zwar (bisher) nicht durchgehend als Radweg ausgebaut, aber viele Straßen sind wenig befahren, sodass ein entspanntes Radeln auch auf Landstraßen möglich ist. Teilweise finden sich auch ruhige Alternativabschnitte. Die Finnen sind selbst ein sportliches Radlervölkchen, sodass Bereiche in Städten und oftmals sogar viele Kilometer vor und hinter Orten hervorragend mit Fahrradwegen erschlossen sind.